Die Wiedergeburt von Omega -
Chapter 446: Eine unverstandene Sprache (Kap.447)
Chapter 446: Eine unverstandene Sprache (Kap.447)
Adrienne, mit ihrem schrecklich blassen Aussehen, den eingesunkenen Augen und den hohlen Wangen, die tief genug erschienen, um Wasser zu halten, war die Fee, die für ihre bezaubernde Schönheit bekannt war, kaum wiederzuerkennen. Sie sah weit schlimmer aus, als Neveah erwartet hatte.
Schon in der großen Halle hatte Neveah bemerkt, dass Adrianne anders aussah, doch die Klarheit ihres veränderten Zustands wurde erst jetzt im hellen Tageslicht, ohne die Ablenkung durch das hektische Geschehen und die Menge der Leute, deutlich.
Adrienne war von Natur aus zierlich, doch bisher strahlte sie immer eine leuchtende, lebendige und vornehme Aura aus. Sie war eine Frau, über deren Rang man nicht erst sprechen musste.
Schon aus der Ferne konnte selbst der Unkundigste erkennen, dass sie eine Frau von hohem Stand und edler Herkunft war.
Ihr Auftreten, ihr Charakter, ihre Haltung und sogar ihre Art, sich zu präsentieren, waren keineswegs gewöhnlich, nicht einmal im Drachenturm, der Hunderte von Adligen unterschiedlichster, hoch angesehener Ränge beherbergte.
Adrienne war schon immer besonders, ihre Anwesenheit ließ die anderen neben ihr verblassen, als käme sie aus einer ganz anderen Welt.
Die Anmut, die sie verkörperte, war unvergleichlich mit irgendjemandem, den Neveah bisher getroffen hatte, und Neveah hatte viele hohe Damen vom Eclipse Domain bis hinunter zum Drachenturm kennengelernt.
Neveah gestand sich ein, dass Adrienne eine Macht war, mit der man rechnen musste, eine von denen, von denen man sagen konnte, sie seien exzellent geboren worden... perfekt, ohne Makel, oder vielmehr mit der Fähigkeit, jeglichen Fehler zu kaschieren.
In nur wenigen Monaten, seit sie aus dem Bergfried verbannt worden war, hatte sich Adrienne vollständig verändert.
Jetzt, in einfacher Kleidung und nicht mehr in Rosalies übertriebenem Luxusgewand, war die Veränderung noch offensichtlicher.
Es war nicht nur ihr Äußeres, die Veränderung ging tiefer. Neveah sah es in Adrianes Aura, ihrer Miene.
Die sonst so souveräne Ausstrahlung und Haltung waren vergessen. Die einst stolze Frau ließ die Schultern hängen, als trüge sie das Gewicht der ganzen Festung und noch mehr.
Adriannes schillernde spektrale Flügel waren nun trocken und leblos, sie lagen an ihrem Rücken wie ein fehl am Platz wirkender Klumpen.
Aber die größte Veränderung sah Neveah in Adrianes Augen.
Dieser karamellbraune Blick, der einst so stolz und selbstsicher erschien, wirkte nun gebrochen, leer... tot.
Adrienne starrte zu Neveah herüber. Wie lange schon, wusste Neveah nicht, aber sie erwiderte den Blick, und alles, was sie sah, war eine seelenlose Hülle, ein Wesen, das das Leben bereits aufgegeben hatte.
Sie war so geschwächt, dass Keila ihr gesamtes Gewicht stützen musste. Ein Blick verriet Neveah, dass in Adrianes Muskeln keine Kraft mehr war.
Neveahs Erfahrung mit Giften sagte ihr, dass das Gift in Adrianes Körper besonders bösartig war, alle Organe gleichzeitig angriff und sich rasch mit Hilfe des Blutkreislaufs verbreitete.
Bei dieser Geschwindigkeit würde es jeden Moment das Herz erreichen... genauer gesagt, hätte es dies bereits tun sollen. Dass sie bis jetzt noch lebte, war schon als Glück zu betrachten.
Die Zeit, die ihr blieb, lag irgendwo zwischen ein paar Tagen und den nächsten Stunden. Es hing alles von ihrem Schicksal ab.
’Veah... Veah... komm zu dir!’ mahnte Neveahs Wolf, als sie Adrienne weiterhin nur anstarrte.
Neveah blinzelte schnell, schüttelte den Kopf, um sich zu sammeln und in die Realität zurückzukehren.
Ein plötzliches Frösteln machte sich in Neveah breit, und sie wusste, dass es nicht am Wetter liegen konnte, denn die Morgensonne stand hoch am Himmel und hüllte alles unter ihr in ihre wärmenden Strahlen. Dieses Frösteln war etwas ganz anderes, eine Mischung aus unerklärbaren Gefühlen, die Neveah eigentlich keinen Grund hatte zu spüren - außer der Tatsache, dass auch sie sterblich war. Die Schwäche, die Sterbliche gemeinsam haben, ist ein Herz, das Empathie kennt.
Neveah hätte nicht gedacht, dass sie eines Tages ein so nichtiges Gefühl für jemanden empfinden würde, der es absolut nicht verdient hatte. Aber als sie Adrienne mit eigenen Augen erblickte, verstand sie vollkommen, warum Keila nichts anderes verlangt hatte, als dass Neveah ihr einen Besuch abstatten sollte. Denn Keila wusste, es gab nichts Überzeugenderes als Adriennes Zustand mit eigenen Augen zu sehen.
’Veah... jetzt ist nicht die Zeit für solche Gedanken. Verscheuche sie’, ermahnte Neveahs Wolf sie eindringlich.
Neveah folgte dem Rat und schüttelte leicht den Kopf, um sich wieder auf die Realität zu besinnen. Als sie wieder ganz bei sich war, erkannte sie zwei Tatsachen.
Die erste war, dass Adrienne sich nun zurück in den Bergfried bewegte, diesmal nicht mit Keilas Unterstützung, sondern alleine, langsam und sichtlich kämpfend. Keila sah ihr bestürzt nach, und Neveah vermutete, sie war mit Adriennes Entscheidung nicht einverstanden. Neveah war sich nicht sicher, was sie von Adrienne erwartet hatte, aber sicherlich keinen friedvollen Rückzug. Hatte das Gift Adriennes Gier und Machthunger vertrieben? Menarx war genau hier, ihre letzte Chance auf das Leben, das sie sich wünschte, und ehrlich gesagt auch auf das Leben selbst. Menarx’ umgekehrte Schuppe konnte das Gift bannen, so viel stand fest. Diese Chance hatte selbst das Schicksal für sie gerechtfertigt, indem es ihr das Wunder einer wahren Bindung gewährte. Es war ihr Leben, ihre Hoffnungen und Träume in einem Paket - ein perfektes Paket, das Herr der Rubinschuppen genannt wurde.
Menarx hatte sich all die Zeit geweigert, Adrienne zu sehen, und jetzt, wo sie die Möglichkeit hatte, ihn zu sehen und ihren Fall vorzubringen, an die Bindung zu appellieren, seinen Arm zu zwingen... etwas zu tun, was auch immer es sein mochte, was tat sie? Sie ging.
Und dann war da noch die zweite Tatsache... die Tatsache, dass Neveah erst jetzt bemerkte, dass der Mann neben ihr nicht ein Wort gesagt oder etwas getan hatte. Menarx zeigte absolut keine Reaktion. Als hätte er Adrienne überhaupt nicht gesehen, war seine ganze Aufmerksamkeit auf den Blauplan vor ihm gerichtet.
Wie konnte es sein, dass er sie nicht gesehen hatte, als doch beide in dieselbe Richtung blickten, als Adrienne hinausgetreten war? Wenn Neveah nicht aufmerksam genug gewesen wäre, hätte sie vielleicht Menarx’ schneeweiße Knöchel von seinen fest geballten Fäusten und den kleinen Blutstropfen übersehen, der den Blauplan an der Stelle befleckte, wo sich Menarx’ Nägel in seine Haut gebohrt haben mussten. Äußerlich schien es, als hätte es keinen Austausch gegeben, aber Neveah wusste besser als jeder andere, was für eine Macht das Band hatte - es gab keine Botschaft, die es nicht übermitteln konnte, solange es erweckt war.
Daher wusste Neveah, dass wirklich ein Austausch stattgefunden hatte. Einer, dem beide Parteien hilflos ausgeliefert waren, in einer Sprache, die selbst sie nicht verstehen würden, und von dem keiner unberührt bleiben konnte.
’Das Band... ihr... Band...’, dachte Neveah bei sich, während ihr Herz bis zum Grund ihres Magens sank.
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